Der Urkundenprozess bietet dem Kläger die Möglichkeit, schnell einen vorläufig vollstreckbaren Titel gegen den Beklagten zu erlangen, indem in ihm nur Urkunden und die Parteieinvernahme als Beweis für streitige Tatsachen zugelassen werden. Einwendungen und Einreden des Beklagten, die nur durch andere Beweismittel bewiesen werden können, müssen durch den Beklagten in einem Nachverfahren geltend gemacht werden.
Um die zeitlich-prozessualen Vorteile des Urkundenprozesses (auch: Urkundenverfahren) nutzen zu können, müssen jedoch einige Besonderheiten beachtet und vorab auf ihren Nutzen geprüft werden. Im Urkundenprozess können nach § 592 S. 1 ZPO nur solche Ansprüche geltend gemacht werden, die auf Zahlung einer Geldsumme oder Leistung einer bestimmten Menge an vertretbaren Sachen sowie Wertpapieren gerichtet sind. Anders als beispielsweise bei Beantragung eines Mahnbescheids kann die Zahlung allerdings auch von einer Gegenleistung des Beklagten abhängig sein, sog. Zug-um-Zug Leistung, §§ 320 BGB, 756 ZPO. Unzulässig ist der Urkundenprozess im Umkehrschluss bei Klagen auf Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 ZPO und solchen auf Vornahme von vertretbaren und nicht vertretbaren Handlungen gem. §§ 887, 888 ZPO.
Besteht ein solcher Anspruch, können Kläger wie Beklagter streitige Tatsachen ausschließlich durch die Strengbeweismittel des Urkundenbeweises (§§ 415 ff. ZPO) und der Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO) beweisen. Nicht zugelassen ist somit der Beweisantritt durch Zeugen (§§ 373 ff. ZPO), Augenschein (§§ 371 ff. ZPO) und Sachverständigengutachten (§§ 402 ff. ZPO). Die Möglichkeit zur Widerklage bleibt dem Beklagten dabei nach ebenfalls § 595 Abs. 1 ZPO verwehrt. Dadurch können Verfahren – abhängig von der jeweiligen Sachlage – zum Teil erheblich abgekürzt werden. Ebenso entfallen die regelmäßig hohen Kosten für eventuelle Sachverständigengutachten.
Wird dem Antrag des Klägers stattgegeben, erlangt dieser einen vorläufig vollstreckbaren Titel gegen den Beklagten. Das Gericht trifft dabei im (Vorbehalts-)urteil eine Kostenentscheidung über das (Vor-)verfahren gem. §§ 599, 91 ff. ZPO. Widerspricht der Beklagte, ergeht im Prozess lediglich ein Vorbehaltsurteil gem. § 599 ZPO mit der Folge, dass dem Beklagten der Weg in das Nachverfahren gem. § 600 ZPO offensteht, in dem ihm wie im ordentlichen Verfahren alle Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Weg in das Nachverfahren empfiehlt sich für den Beklagten aber nur dann, wenn er der Ansicht ist, berechtigte Einwände gegen den Klageanspruch durch die übrigen Beweismittel wie Zeugen oder Inaugenscheinnahme beweisen zu können oder eigene Ansprüche mittels Widerklage durchsetzen zu können. Scheitert sein Anspruch nicht aufgrund der Beweislage, sondern rechtlicher Hindernisse steht ihm daneben der Weg der Berufung im Urkundenprozess offen.
Der Kläger selbst kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung des Beklagten vom Urkundenprozess in das ordentliche Verfahren wechseln gem. § 596 ZPO. Durch den Wechsel bleibt die Rechtshängigkeit geltend gemachter Ansprüche unverändert erhalten. Ebenso bleiben getätigte Prozesshandlungen wirksam. Das Vorbehaltsurteil entfaltet damit eine Bindungswirkung für das Nachverfahren, mit Ausnahme der Einwände, mit denen der Beklagte im Vorverfahren ausgeschlossen war.
Alternativ kann der Beklagte gegen ein negatives Vorbehaltsurteil mit der Berufung vorgehen. Dies empfiehlt sich dann, wenn sich die Einwände gegen das Urteil ebenfalls mit Urkunden beweisen lassen oder wenn lediglich eine abweichende Rechtsauffassung Anlass zur Berufung gibt.
Ein Übergang vom ordentlichen Verfahren (dem Standardverfahren) in das Urkundenverfahren ist nach Klageerhebung nur noch ausnahmsweise möglich. So wird der Wechsel der Verfahrensart als Klageänderung nach § 263 ZPO betrachtet. In der Folge ist der Wechsel nur noch mit Zustimmung des Beklagten oder bei Sachdienlichkeit anzunehmen. Ob diese Sachdienlichkeit vorliegt ist dabei vom Gericht zu bestimmen. In der Rechtsprechung wurde die Annahme der Sachdienlichkeit eines solchen Wechsels aber als kaum jemals anzunehmender Ausnahmefall angesehen, womit sie praktisch ausgeschlossen sein dürfte (BGH, Urteil v. 6. Juni 1977 - III ZR 116/75). Möglich erschiene die Sachdienlichkeit indes, wenn der Antrag auf Durchführung des Verfahrens unmittelbar in der Antragsbegründung nach Widerspruch eines Mahnbescheides erfolgte, da das Verfahren somit erst begonnen hat.
Der Urkundenprozess bietet die Möglichkeit eines beschleunigten Weges zur Erlangung eines Vollstreckungstitels, soweit sich der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus Urkunden beweisen lässt. Da das Gericht im Vorverfahren eine Kostenentscheidung trifft, kann der Kläger bei einem positiven Vorbehaltsurteil bereits die eingesetzten Kosten zurückerstattet verlangen. Damit bietet der Urkundenprozess, selbst bei schlechter Beweissituation über Zeugen und Sachverständigengutachten, die Möglichkeit, über ein verkürztes Verfahren Tatsachen zu schaffen, denen bei Niederlage im Nachverfahren allerdings evtl. Schadensersatzansprüche des obsiegenden Beklagten gegenüberstehen.
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